Die Entstehung der Steinbergsiedlung durch die Baugenossenschaft Erfenschlag-Einsiedel
Vom Steinberg zum Schusterberg (vorab Version)
Zur Gründung und Leistung der Baugenossenschaft Erfenschlag eGmbH
Der Erste Weltkrieg hatte 1918 schwere soziale Folgen für das Leben der Menschen in den deutschen Städten und Dörfern hinterlassen. Es sollen hier nur wenige Aspekte genannt werden, die zum Verständnis für die Gründung der Baugenossenschaft Erfenschlag notwendig sind. Im Februar 1919 war jeder fünfte Industriearbeiter der Stadt Chemnitz arbeitslos. Die Zahl der Erwerbslosen stieg weiterhin in die Höhe. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, hatte die Stadt Chemnitz bereits im November 1918 ein über 4-Millionen-Programm für Notstands-arbeiten beschlossen. Hinzu kam die schon seit der Vorkriegszeit gewachsene Wohnungsnot. Um dieser zu begegnen, hieß es im Artikel 155, der am 11. August 1919 in Weimar beschlossenen „Verfassung des Deutschen Reiches“, dass „jedem Deutschem eine gesunde Wohnung und allen deutschen Familien, besonders den kinderreichen, eine ihren Bedürfnissen entsprechende Wohnungs- und Wirtschaftsheimstätte zu sichern“ ist. In Chemnitz rechnete man 1919 mit 6000 fehlenden Wohnungen. Unter diesen Bedingungen versammelten sich am 29. April 1919 im Gasthof Erfenschlag 60 Männer und gründeten die „Baugenossenschaft Erfenschlag eGmbH“. Die dem Protokoll der Versammlung beigefügte Liste mit der eigenhändigen Eintragung verzeichnet 48 Männer aus Erfenschlag, 10 aus Chemnitz und je 1 Person aus Harthau und Reichenhain.
Das Wohngebiet "Am Steinberg" entsteht
Die Genossenschaft stellte sich die Aufgabe durch „Erwerb von Grund und Boden zur Herstellung von Wohnungen für die Mitglieder welche Garten- und Kleintierwirtschaft betreiben“ zu fördern. Sie beruht auf Gemeinnützigkeit und beschränkt sich nur auf die Mitglieder der Genossenschaft. Zu Vorstandsmitgliedern wurden gewählt:
1. Vorsitzender: Emil Oeser, Revisor, Chemnitz. Gutenbergstr. 10"
2. Vorsitzender: Emil Kreisel, Baumeister, Erfenschlag, Ortsl. Nr. 23
1. Kassierer: Emil Kretzschmar, Kassierer, Erfenschlag. Ortsl. Nr. 7B
2. Kassierer: Oskar Wendler, Kaufmann, Erfenschlag. Ortsl. Nr. 23H
1. Schriftführer: Kurt Ahnert. Ratsaktuar, Chemnitz, Wittenbergstr. 7"
2. Schriftführer: Robert Winkler. Fabrikarbeiter. Erfenschlag, Ortsl. Nr. 19B
Beisitzer: Max Thierfelder, Schleifer. Erfenschlag, Ortsl. Nr. 23K
Beisitzer: Max Quaas. Anstreicher. Erfenschlag, Ortsl. Nr. 20 E
Der Vorstand nahm sofort nach der Gründung die Arbeit auf. Zuerst wurde das Baugebiet wischen der geplanten Straße A (heute: Am Steinberg) und der geplanten Straße B (heute: Dr.-Karl-Wolff-Straße) bis zu der Straße Sonnenhang bebaut. Aus einer mir freundlich von Herrn Jürgen Ahnen für die Bearbeitung des Themas zur Verfügung gestellten Akte konnte ich entnehmen, dass das erste Einfamilien- Doppelwohnhaus der Baugenossenschaft bereits gegen Ende des Jahres 1919 auf „dem Brett“ entworfen und genehmigt sowie im September 1920 bezugsfähig fertig gestellt war.
Jeder Teil des Doppelwohnhauses verfügte über eine bebaute Fläche für das Wohnhaus mit 52,50 m2 und den Anbau mit 18,90 m2. Im Kellergeschoss gab es zwei getrennte Kellerräume und einen Abstellraum. im Erdgeschoss eine Küche mit zwei Stuben und einen Flurraum und im Obergeschoss drei Schlafzimmer und einen Vorsaal.
Die Planung und Ausführung des Siedlungsbaus oblag dem Baumeister Emil Kreisel. In den zwanziger Jahren, besonders mit der Erweiterung der Genossenschaft durch die Einbeziehung von Einsiedel wuchs die Mitgliederzahl von 274 im Jahr 1926 auf 435 im Jahr 1932. Die Genossenschaft firmierte seit 1927 unter dem Namen "Baugenossenschaft Erfenschlag-Einsiedel GmbH in Erfenschlag“. Der Vorstand wurde durch Mitglieder aus Einsiedel erweitert. Die geänderte
Satzung hielt weiterhin am Gegenstand des Unternehmens fest: „Der Zweck ist ausschließlich darauf gerichtet, den Minderbemittelten gesunde Wohnungen zu möglichst billigen Preisen zu beschaffen. Der Geschäftsbetrieb der Genossenschaft ist auf den Kreis ihrer Mitglieder beschränkt und beruht auf Gemeinnützigkeit.“
Am 23. Juni 1930 hatte sich die Hoch- und Tiefbaufirma Alfred Grosse in Erfenschlag etabliert. Sie übernahm u.a. den Siedlungsbau an der heutigen Albert-Junghans-Straße und am Sonnenhang. Noch vor dem Zweiten Weltkrieg errichtete die Firma Grosse im Auftrag der Chemnitzer Wohn- und Heimstättengesellschaft 1938 am Dorfblick acht zweigeschossige Häuser mit insgesamt 32 Wohnungen. Bei der Übergabe wurde, so entnehmen wir es dem „Chemnitzer Tageblatt“ vom 1. September 1938, auf die besonders schöne Lage in der Natur und Umwelt sowie auf den zu jeder Wohnung gehörenden kleinen Wirtschaftsgarten hingewiesen.
Allerdings ging die Mitgliederzahl der Baugenossenschaft Baugenossenschaft Erfenschlag-Einsiedel bis 1937 wieder auf 293 zurück. Bisher konnte leider noch nicht ermittelt werden, wann die Baugenossenschaft ihre Tätigkeit einstellte und sich auflöste.
Wir blicken den Steinberg hinauf. Der Fotograf steht vermutlich am Fenster einer oberen Wohnung des Haus Nummer 4. Zu sehen sind links die Häuser 9/11, 13/15 (beide zerstört) dann 17/19 und 21/23. Auf der rechten Seite sehen wir die Hausecke der Ernst-Stiefel-Straße 9 und direkt über dessen Dachschräge das Haus am Steinberg 6/8 (zerstört). Links daneben, also direkt hinter dem Strommast, das Haus Am Steinberg 10.
Von der Ortslistennummer zur Hausnummer und Straßennamen
Die Straßennamen sind in der Regel älter als die Ortslisten- und die später eingeführten Hausnummern. In Chemnitz verzeichnen die Markbücher (heute: Grundsteuerbücher) bereits im 15. Jahrhundert Plätze und Straßen mit Namen, wie Markt, Getreidemarkt, Rossmarkt, Bretgasse, Klosterstraße, Langestraße u.a.. Seit 1787 wurden die Hausnummern fortlaufend vergeben. In den meisten deutschen Städten und Gemeinden erwies es sich als günstig, dass die Häuser, vom Stadtzentrum ausgehend zur Peripherie, an der rechten Seite mit geraden Nummern und an der linken Seite mit ungeraden Nummern versehen wurden. Diesem Prinzip folgend, begann in Chemnitz die Umnummerierung in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts.
In der Gemeinde Erfenschlag dauerte es noch bis 1936, bevor man sich entschloss, die Ortslistennummern durch Hausnummern zu ersetzen. Damit war dann auch die Benennung von Namen für Wege und Straßen verbunden. Die Gemeindeverwaltung bestellte Anfang des Jahres 1938 bei Max Oertel in Erfenschlag
„zur allerschnellsten und besten Lieferung die nachfolgend angegebenen Orts- und Brandkataster-Nummemschilder“.
Da wir noch heute an einigen Flurstücken und Häusern diese erkennen, wollen wir sie für die Straßen am Steinberg nachfolgend mit den dazugehörigen Straßennamen und Änderungen nennen. (leider nicht vollständig)
Am Steinberg(links) | ||||||||||
7=50C | 9=50D | 11=50E | 13=50F | 15=50G | 17=50H | 19=50J | 21=50K | 23=50L | 25=50 ? |
27=50S |
29=50T | 31=50U | 33=50V | 35=50W | 37=50X | 39=50Y | 41=50Y,1 | 43=51Y,2 | 47=51D | 51=51J |
Am Steinberg (rechts) | |||||||
2=23L | 4=23 ? | 6=20N | 8=20O | 10=52 | 12=52E | 14=52F | 16=52G |
18=52H | 20=52M | 22=52L | 24=52O | 26=52P | 28=52R | 30= ? |
Anton-Günther-Straße bis 1946, August-Bebel-Str. bis 1950, danach Albert-Junghans-Straße | ||||||
1=33M | 5=33U | 7=33V | 9=33W | 11=33X | 13=33Y | 15=33Z |
17=33Z,1 | 19= ? | 25=56E | 27=56D | 29=56C | 31=56B |
Sonnenhang (links) | |||||
1=52H | 3=52D | 5=52C | 7=52B | 9=52E | 11=50O |
13=50B | 23=56B | 25=56N ? | 27=56M | 29=56L |
Sonnenhang (rechts) | |||
2=52K | 4=52J | 6=50R | 8=50Q |
20=56J | 22=56H | 24=56Z |
Ernst-Stiefel-Straße bis 1946, danach Dr.-Karl-Wolff-Straße | ||||
1=24C | 7=23Q | 9=23P | 11=23O | 18=20 ? |
Wir Blicken vom Gutberg Richtung Steinberg. Zu sehen sind die im Vordergrund die Häuser Ernst-Stiefel-Straße (heute Dr.-Karl-Wolff-Str.) 9 und 11. Und im Hintergrund die Häuser Am Steinberg 7 - 15. Alle 5 Häuser wurden damals am 14. Februar 1945 von einer Litfaßsäulen großen Luftmine zerstört.
Fertiggestellte 4-Familien Häuser der Baugenossenschaft Erfenschlag-Einsiedel. Zu sehen sind, vorn rechts nach links, die Häuser 11, 9 und 7 der Ernst-Stiefel-Straße (heute: Dr.-Karl-Wolff-Str). Die Häuser 9 und 11 wurden zerstört, auf der ehemaligen 11 befindet sich heute eine Garagengemeinschaft.
Die Wohnsiedlung „Am Steinberg“
Die bedeutendste wohnbauliche Erweiterung erfuhr der Stadtteil nach der Wende von 1989/90 auf dem Steinberg. Erfenschlag war zu einem wichtigen Bindeglied zwischen Reichenhain und Einsiedel geworden, als es darum ging‚ die gesamte Infrastruktur im Südteil der Stadt Chemnitz zu entwickeln.
Folgerichtig entwarfen Chemnitzer Planungsunternehmen bald Projekte für neue Wohnsiedlungen und Neubauten in und um Erfenschlag. Dabei entgingen ihnen natürlich die Südwesthanglage des Steinberges und einige Tallagen rechts und links der Erfenschlager Straße und des Zwönitzflusses nicht. In den Planungskonzeptionen dominierte die Vorstellung, die bereits bestehende Steinbergsiedlung in Richtung Zschopauer Straße zu erweitern. Dazu lagen dem Stadtplanungsamt im Jahre 1995 erste Entwürfe vor. Neben dem Erwerb der Grundstücksfläche bestand das größte Problem in der Realisierung von infrastrukturellen Maßnahmen.
Dazu gehörten der Bau eines Abwassersammlers, die Erweiterung des Trinkwassersystems, die Heranführung und der Ausbau des Telekommunikationsnetzes und die Erweiterung und Umstellung des Energienetzes von 220 auf 380 V. Im Zuge dieser Maßnahmen war auch die grundhafte Sanierung der Erfenschlager Straße nötig.
Der erste Bauabschnitt für den Abwassersammler zwischen der Einmündung Gornauer Straße und der Dr.-Karl-Wolff-Straße begann am 20. September 1994 mit der Übergabe der Planungsunterlagen an die Stadt Chemnitz. Die für die Erweiterung der Siedlung am Steinberg erforderliche Grundstücksfläche wurde von dem Chemnitzer Unternehmen RAWEMA Industrieanlagen GmbH aus dem Privatbesitz ehemaliger Erfenschlager Einwohner am 9. November 1994 käuflich erworben, ohne dass zu diesem Zeitpunkt ein bestätigter Bebauungsplan der Stadt Chemnitz vorlag.
Das Konzept der Erweiterung des Siedlungsgebietes bestand darin, das Bestehende in etwa gleicher Form weiterzuführen‚ um damit die Harmonie und den Reiz des Vorhandenen zu erhalten. Deshalb wurde die angekaufte Fläche von etwa 2,6 ha in drei Baufelder unterteilt:
Baufeld 1: direkter Anschluss an den Altbestand für Mehrfamilien- und Reihenhäuser
Baufeld 2: Mittelteil für Doppel- und Einfamilienhäuser;
Baufeld 3: Randfläche in Richtung Schusterberg (Steinberg) ausschließlich für Einfamilienhäuser.
Der Vorzeitige Bebauungsplan Nr. 93/33/60 Wohnsiedlung Erfenschlag „ Am Steinberg" wurde am 14. Juli 1995 durch das Stadtparlament bestätigt und dem Regierungspräsidium zur Genehmigung übergeben. Am 4. August 1995 erfolgte der erste Spatenstich durch Herrn Béla Dören, 1. Bürgermeister der Stadt Chemnitz. Die Erschließung des neuen Wohngebietes begann am 9. August 1995. Die Planung umfasste die Errichtung von 50 Bauwerken, die sich auf 2 Mehrfamilienhäuser mit je 7 Eigentumswohnungen, 12 Reihenhäuser und 56 Einfamilienhäuser aufschlüsseln lassen. Dazu kamen die dazugehörenden Straßen und Versorgungsbauwerke. Der Kostenaufwand allein für die Erschließungsleistungen betrug ca. 6,5 Millionen DM.
Die erste Baugenehmigung zur Errichtung eines Einfamilienhauses wurde am 27. September 1995 erteilt, so dass ab September 1996 noch während der Erschließung und des Straßenbaus die ersten Häuser bezogen werden konnten. Im Laufe der letzten Jahre wurde die Erfenschlager
Wohnsiedlung Am Steinberg" zur neuen Heimat für 150 Menschen. Allerdings erhielt eine dort verlaufende Straße auch den Namen „ Zum Schusterberg“.
Das Wohngebiet „ Am Steinberg“, mit Recht als eines der schönsten und gelungensten Wohngebiete der Stadt Chemnitz bezeichnet, hat sich nahtlos an das Bestehende angegliedert und ist so zu einem landschaftlichen und städtebaulichen Kleinod geworden. Die Einheit von bereits Bestehendem und neu Errichtetem, gepaart mit landschaftlichem Reiz, macht diese Siedlung attraktiv und liebenswert.
Wolfgang Vogel schrieb 2002 in seinem Beitrag für die Schrift „600 Jahre Erfenschlager Straße" über den Neubau der Wohnsiedlung "Erfenschlag, Am Steinberg": „Die Erschließung des neuen Wohngebietes begann am 9. August 1995. Die Planung umfasste die Errichtung von 50 Bauwerken, die sich auf 2 Mehrfamilienhäuser mit je 7 Eigentumswohnungen‚ 12 Reihenhäuser und 36 Einfamilienhäuser aufschlüsseln lassen." Mit der Bebauung der neuen Wohnsiedlung "Erfenschlag Am Steinberg" beschloss der Rat der Stadt Chemnitz in seiner Sitzung am 18. Sept 1996 die „Festsetzung des neuen Geltungsbereichs für die Straßennamen "Albert-Junghans-Straße“ und „Am Steinberg“. Für die Straße ‚Am Steinberg‘ heißt es dazu: „Die Straße ‚Am Steinberg‘ hat den Beginn an der ‚Erfenschlager Straße‘ und das Ende an der östlichen Baugebietsgrenze der neuen Wohnsiedlung ‚Erfenschlag, Am Steinberg‘". Die dazugehörige Begründung führte an: „Der Straßenname ‚Am Steinberg‘ sollte dem Verkehrsbereich zwischen Erfenschlager Straße und der äußeren Baugebietsgrenze zugeordnet werden. Er bezieht sich auf den naheliegenden Berg (Schusterberg), den die Alteinwohner von Erfenschlag ‚Steinberg’ nennen."
Beiträge von Gert Richter, Stefan Thiele, Ehrenfried Winkler
Abbildungen: Archiv Bürgerverein. J‚ Ahnert, G. Tomaschek, Verlag Heimatland Sachsen GmbH
Chemnitz, Mai 2010